1942 Zwangsarbeiter
Im Juni 1942 beantragen die Gebrüder Overlack beim Arbeitsamt M.Gladbach „die Gestellung von 2-4 Kriegsgefangenen (möglichst Franzosen) als Fabrikarbeiter auf unserem Hof“. Begründet wird dies sowohl mit der Reduzierung der Belegschaft „auf weit unter die Hälfte des Friedensbestandes“, zum anderen mit der Behauptung, dass die Firma „fast ausschließlich an kriegswichtige, kriegsentscheidende oder Rüstungs-Industrien“ liefere und dies zu unverändert hohen Umsätzen.
Während des Zweiten Weltkriegs arbeiten Millionen von Kriegsgefangenen und zwangsrekrutierten Zivilisten aus den besetzten Gebieten im Deutschen Reich gegen geringe Bezahlung oder auch ohne Lohn in fast allen Bereichen der Wirtschaft. Sie sorgen dafür, dass die deutsche Bevölkerung trotz Kriegszeiten immer noch einen relativ hohen Lebensstandard genießen kann. Ende 1944 sind mehr als 7,5 Millionen ausländische Arbeitskräfte zwangsverpflichtet, davon ein Drittel Frauen. Dabei werden Westeuropäer deutlich besser behandelt als osteuropäische Zwangsarbeiter, die in der NS-Rassenideologie als minderwertig gelten.
1943 „Gefallen für Großdeutschland“
Der Tod ist ein Meister aus Deutschland in diesen schrecklichen dunklen Jahren, die so viele Leben zerstören. Einen hohen Preis bezahlt auch die Unternehmerfamilie Overlack. Der erstgeborene Sohn von Heinrich und Lisbeth Overlack, Dieter, der immer Förster werden wollte und nicht Kaufmann, zieht kräftig ideologisiert und voller Leidenschaft schon 1940 in den Kampf fürs Vaterland. Gerade einmal 21 Jahre alt fällt er im Winter 1943 am Brückenkopf von Cherson in der heutigen Ukraine.
Auch der Erstgeborene von Elisabeth und Ed Overlack, Hans Lutz stirbt eben 20-jährig schon im August 1941 in Schytomyr in der Ukraine.
Brüder im Unglück.
Der Feldpostbrief, in dem Vater Heinrich seinem Sohn Dieter zur Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz I. gratuliert, gelangt nach seiner Reise in die Ukraine ungeöffnet zum Absender zurück: „Gefallen für Großdeutschland“.
1944 „Ich komme! noch nicht“
Später einmal als Nachfolger des Vaters in die Firma einzutreten – diese Aufgabe bleibt jetzt für Dieters jüngeren Bruder Hans, der 1925 geboren wurde. Sein Abitur bekommt Hans geschenkt, dafür geht‘s ab ins Militär. Er wird als Pilot ausgebildet und im März 1945 mit der „Luftkriegsschule 3“ von Oschatz in Sachsen nach Langenlebarn bei Wien verlegt. Ohne jegliche Ausbildung wird er noch als Infanterist eingesetzt. Mit viel Glück übersteht er die letzten Kriegswochen und gerät dann in russische Gefangenschaft.
Als hätte er es auf seiner Postkarte an die Eltern vom November 1943 schon gewusst: „Ich komme! noch nicht“
1945 Hunger I
Nach der Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 wird der Verkehrsknotenpunkt M.Gladbach verstärkt zum Ziel von Luftangriffen der Royal Air Force. Dabei werden auch die Betriebsgebäude der Gebr. Overlack stark in Mitleidenschaft gezogen. Bei Kriegsende ist M.Gladbach zu 60 und das benachbarte Rheydt, die Geburtsstadt von Joseph Goebbels, zu 90 Prozent zerstört. Nachvollziehbar, dass es auch zu Engpässen in der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln kommt.
Irgendwann im März 1945 muss der vergleichsweise unbelastete Heinrich Overlack zum Leiter des Städtischen Ernährungsamtes berufen worden sein; darauf verweist der Durchschlag seiner Bitte um Entlassung im Juli 1945: „Ich nahm s.Zt. sofort diese Berufung an. Sie galt als eine zeitweilige. In der Unterredung wurde von mir klar herausgestellt, dass ich den Posten nur für die Dauer der Not übernähme und dass er daher mit einer Stabilisierung der Lebensmittellage sein Ende finde. Ich nannte damals als vorläufigen Termin den Beginn der Ernte, da ich dann in meiner Firma – auch im Interesse der Stadt M.Gladbach, der ich als Getreidehändler große Mengen Getreide aus dem Kreis Erkelenz zuführen kann – unbedingt nötig sei. Dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen.“
1946 Hunger II
Das Schreiben an den Oberpräsidenten der Nord-Rheinprovinz, Abt. Landwirtschaft entsteht kurz bevor die Briten ihre Besatzungszone durch die Verschmelzung der Regierungsbezirke Aachen, Düsseldorf und Köln mit der ehemaligen preußischen Provinz Westfalen im August 1946 zum Land Nordrhein-Westfalen machen und damit territoriale Fakten gegen die Ansprüche der Franzosen schaffen.
Heinrich Overlack hat ganz andere Probleme; das Zweiggeschäft in Erkelenz kann die von den Behörden geforderte „Mehlverteilerkarte“ nicht vorlegen. Viel stärker noch als während des Krieges hungern die Deutschen in den ersten Nachkriegsjahren; die Verteilung der Lebensmittel wird zentral gesteuert. Heinrich Overlack betont seine Distanz zum Naziregime und schreibt: „In den letzten Kriegsjahren, als die Einbringung des Getreides zu unserer unmittelbar am Bahnhof in Erkelenz gelegenen Siloanlage und der Abtransport des Getreides von dort zu den Mühlen zwecks Vermahlung mit erheblichen Gefahren verbunden waren, haben wir große Mengen Mehl auf diese Weise für den Kreis Erkelenz und das Stadtgebiet M.Gladbach bereitgestellt. Die Versorgung beider Gebiete wurde bis zur Beendigung der Kriegshandlungen fortgesetzt, worüber einschlägige Zeugnisse jederzeit beigebracht werden können.“
1947 Silberjubiläum
Was für ein Vierteljahrhundert liegt hinter der Belegschaft der „Gebrüder Overlack“! Im Jubiläumsgedicht wird der Wagemut der Firmengründer zu Recht gefeiert. Auch wenn die Nazizeit eben vorbei sein mag, ihr Vokabular ist im Jubelgedicht noch präsent: „Der Gefolgschaft Fleiß und Treue, sind des Wachstums fester Kern.“
Reste der NS-Ideologie mit ihrem Anspruch auf unbedingten Gehorsam und Treue finden sich auch im Schreiben vom Juli 1947, mit dem Schuhe für „Gefolgschaftsmitglieder“ beim Arbeitsamt M.Gladbach beantragt werden. Wenn wir „Gefolgschaft“ durch „Belegschaft“ ersetzen (wie weiter unten im gleichen Brief), fühlen wir uns gleich wohler: Sprache prägt Lebenswirklichkeiten.
1948 Der Revisor
Ein spannendes Dokument aus dem April 1947. Sein Verfasser hat die Arbeitsabläufe in Lager und Warenausgabe in der unmittelbaren Nachkriegszeit einer kritischen Analyse unterzogen. Das Ergebnis kann nicht befriedigen: „Selbstständiges und rationelles Arbeiten habe ich bei keinem der Männer im Betrieb feststellen können. Alle bedürfen sie der Anleitung. Verantwortungsfreudigkeit stellte ich ebenfalls nirgends fest, von oben wird es nach unten abgeschoben, bis derjenige bleibt, der nicht mehr weiter schieben kann.“
Delegieren ist eine hohe Kunst, in der es bei den Brüdern Overlack noch Luft nach oben zu geben scheint: „Zum Schluss drängt sich mir immer die Frage auf, wer ist verantwortlich, dass auch während beide Herren abwesend sind, die Arbeiten weitergehen, und kann eventuell kleine Entscheidungen fällen bzw. Anordnungen treffen.“
Und doch: „Als Anfangserfolg kann man heute feststellen, dass durch die einigermaßen hergestellte Ordnung im Betrieb und Lager, wo man nicht mehr vor Ausgabe von einem Sack gezwungen ist, zuvor 1 Partie andere Säcke und noch einige Fässer aus dem Weg zu räumen, die laufenden Arbeiten heute meistens von 2–3 Mann bewältigt wird, im Gegensatz zum vorigen Jahr, wo sie fast meistens von 4–5 Mann ausgeführt wurden.“
Gerne wüssten wir mehr über den klugen Beobachter. Leider hat er seine Aufzeichnungen nicht unterzeichnet. Dass es eine kluge Beobachterin gewesen sein könnte, scheint ausgeschlossen.
1949 In Sibirien
„Liebste Eltern!“ schreibt Hans (*1925), vermutlich im Mai 1945: „Nach der Kapitulation kam ich in russische Gefangenschaft. Gesundheitlich geht es mir ganz gut. Fest auf Gott vertrauend, hoffe ich auf ein baldiges Wiedersehen.“ Bis es dazu kommt, werden viereinhalb Jahre vergehen, die Hans in Karpinsk verbringt, 60 km hinter dem Ural. Vom Überleben und der Gefangenschaft ihres zweiten Sohnes erfahren Lisbeth und Heinrich Overlack erst Anfang 1946.
Mit einer Reihe weiterer Familienbilder hütet der junge Gefangene das Porträt seines Vaters als kostbaren Besitz: „Eure Bilder zieren meine Schlafstelle, rufen schönste Erinnerungen zurück und sind Inhalt seliger Träume eines Schlafenden. Sie sind meine ganze Freude. Erinnern an vergangenes Glück und stärken mich in Hoffnung und Glauben an eine Wiederkehr.“ Als Hans dies im Oktober 1946 notiert, weiß er nicht, dass bis zur Rückkehr weitere drei Jahre als Zwangsarbeiter in Sibirien vor ihm liegen. Den 1. November 1949, Tag der Heimkehr zu seiner Familie im Rheinland, wird Hans fortan als seinen zweiten Geburtstag begehen.
1950 Lutz und Hilde Overlack
Er ist ein stattlicher Herr, der Lutz Overlack, hier mit seiner Frau Hilde am Arm. Gründer und Seniorchef, gewitzter Verkäufer und leidenschaftlicher Jäger, der seinen Kunden gern mal einen frisch erlegten Hasenbraten auf die Theke legt, wenn er in Verkaufsgeschäften vorbeikommt. Über die Zukunft seines Neffen Hans im Unternehmen hat er sich mit Bruder Heinrich und dem eng befreundeten Wirtschaftsprüfer der „Gebr. Overlack“, Josef Abstoß, bereits verständigt. Kein Studium mehr für den Mittzwanziger, lieber soll Hans von der Pike auf lernen, wie es in so einer Firma zugeht. Zunächst also Mitarbeit im Lager, dann Besuch der Höheren Handelsschule, schließlich mehrere berufliche Stationen in befreundeten Unternehmen. Fünf Jahrzehnte später kommentiert Hans diese berufliche Weichenstellung über seinen Kopf hinweg trocken: „Ich kam gerade aus Russland und war das Befehle-Empfangen gewohnt – das war doch eine ganz andere Welt damals!“
1951 Grundbesitz
Die „Handzeichnung nach den Katasterkarten“ von August 1948 gibt einen Überblick über die Besitzverhältnisse an der Aachener Straße in den Nachkriegsjahren. Die Brüder Overlack arrondieren den Grundbesitz ihres Unternehmens bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Die Grenzen des Firmenareals sind auf dem Plan durch gelbe Linien markiert. Direkt rechts neben der Firma liegt die Villa von Ludwig Overlack, linkerhand Grundstück und Wohnhaus der Witwe Fritz Niedergesäs, von der die Brüder Mitte der 20er Jahre ihre „Chemische Fabrik“ erworben haben.